NACHGEFRAGT

Wie entsteht ein Stau aus dem Nichts, Professor Schreckenberg?

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Wie entsteht ein Stau aus dem Nichts, Professor Schreckenberg?

Verkehrsforscher Prof. Dr. Michael Schreckenberg lehrt an der Uni Duisburg-Essen und beschäftigt sich als Physiker seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema Straßenverkehr. Ihm ist es gelungen, das Auftreten des „Stau aus dem Nichts“ wissenschaftlich zu erklären, er prägte dafür den Begriff „Phantomstau“. 

Was ist der Hauptgrund für Staus?
Staus entstehen hauptsächlich durch schiere Überlastung: zu viele Fahrzeuge auf derselben Strecke in dieselbe Richtung zur selben Zeit. Da ist dann schnell die Kapazitätsgrenze der Straße erreicht. Rund 60 Prozent der Staus entstehen so, mit einem fließenden Übergang zu Baustellen, die wiederum mittlerweile 20 bis 30 Prozent ausmachen. Der Rest geht auf Unfälle zurück und ein kleiner Teil von rund 2 Prozent auf widrige Wetterbedingungen, also tief stehende Sonne, aufspritzendes Wasser, Nebel, etc. Unkooperatives Verhalten der Verkehrsteilnehmer ist bestimmt ein messbarer Faktor. Ich behaupte immer, 10 bis 20 Prozent aller Staus werden dadurch verursacht.

Unkooperatives Verhalten der Verkehrsteilnehmer ist ein messbarer Faktor. Ich behaupte immer, 10 bis 20 Prozent aller Staus werden dadurch verursacht.

Michael Schreckenberg

Unkooperatives Verhalten der Verkehrsteilnehmer ist ein messbarer Faktor. Ich behaupte immer, 10 bis 20 Prozent aller Staus werden dadurch verursacht.

Michael Schreckenberg

Welche Rolle spielen Baustellen, Fahrverhalten und Wochentagsmuster bei der Entstehung von Staus?
Die Verkehrsmuster sind relativ einfach erfassbar und ständig wiederkehrend. Montags gibt es eine hohe Morgenspitze, die aber schmal ist, freitags ab Mittag ist das höchste wöchentliche Stauaufkommen. Nicht zuletzt ist immer wieder der Freitag vor Pfingsten der staureichste Tag des Jahres. 

Wie entsteht ein Stau aus dem Nichts?
Staus haben immer einen Grund, sogar „Staus aus dem Nichts“. Die Dynamik bei ihrer Entstehung ist immer dieselbe. Zuerst steigt in einem Bereich lokal die Dichte, meistens an Auffahrten oder Steigungen. Wenn dann dort jemand unaufmerksam ist und zu stark bremst und dadurch das Fahrzeug dahinter sogar kurz zum Stillstand kommen muss, entsteht eine Stauwelle, die sich mit ungefähr 15 km/h gegen die Fahrtrichtung stromaufwärts bewegt. Solange der Zufluss von hinten hoch genug ist, bleibt die Stauwelle eine halbe Stunde oder mehr erhalten und kann sogar rückwärts über eine Rampe die Autobahn wechseln. Begegnet man einer solchen Stauwelle, erkennt man natürlich nicht ihren Grund. In der Tat wirken die Verdichtungsbereiche wie Pumpen: Es entsteht eine Stauwelle nach der anderen. Dort passieren viele Unfälle, wenn man „erlöst“ aus eine Welle heraus beschleunigt und unaufmerksam in die nächste hineinfährt.   

Wie sollten sich Autofahrer verhalten, um diese Phantomstaus zu verhindern?
Um nicht Auslöser eine Stauwelle zu werden, sollte man bei dichterem Verkehr beim Kolonne fahren nicht ständig die Spur wechseln, weil man den Eindruck hat, die andere Spur sei gerade schneller als die eigene. Das ist aber nur ein psychologischer Effekt, denn Fahrzeuge, die mich überholt haben, prägen sich stärker ein als jene, die ich selbst überholte habe, da sie vor mir fahren. Diejenigen, die ich überholt habe, verschwinden hinter mir, frei nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Allerdings sieht man nach einiger Zeit immer noch dieselben Fahrzeuge um sich herum, die Spurwechsel haben also gar nichts bewirkt. Autofahrer denken eben (meistens) nur nach vorne! Und man sollte nicht die Lücke nach vorne schließen, damit man nicht zu stark auf Bremsmanöver des Vorausfahrenden reagieren muss. Allerdings wechselt dann hin und wieder ein Fahrzeug von der anderen Spur in diese Lücke...


Um nicht Auslöser eine Stauwelle zu werden, sollte man bei dichterem Verkehr beim Kolonne fahren nicht ständig die Spur wechseln.