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FRIKADELLEN UND KENNZEICHENRATEN
Obwohl das Mobilitätsversprechen an der nächsten Baustelle womöglich gleich wieder ausgebremst wird, war das Auto viele Jahrzehnte das liebste Reiseverkehrsmittel der Deutschen. Es kann wohl jeder die eine oder andere Geschichte von früher zum Besten geben. Der vollgepackte VW Golf, der kaum die Kasseler Berge hochkam, Kennzeichenraten gegen Langeweile, klebrige Kunstledersitze im Stau und auf dem Rastplatz Frikadellen aus der Tupperdose und lauwarmer Thermoskannen-Kaffee. Und alle paar Kilometer die Frage vom Rücksitz: Wann sind wir endlich da?
So fahren die Deutschen in den Urlaub
Verhalten bei Urlaubsreisen 2024 (Blau) im Vergleich zu 1996 (Grün)
42 Prozent der Deutschen fuhren 2024 mit dem Auto in Urlaub, 1996 waren es noch 59 Prozent (siehe Grafik). In den zurückliegenden beiden Jahren hatte bei den beliebtesten Reiseverkehrsmitteln das Flugzeug sogar die Nase knapp vorn. Der Rückgang hat allerdings nicht dazu geführt, dass es auf den Autobahnen merklich leerer geworden ist. Denn auch der Verkehr hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert.
„Interessant ist insbesondere die parallele Entwicklung der Länge des Autobahnnetzes und des Pkw-Bestandes“, sagt Verkehrsforscher Michael Schreckenberg von der Uni Duisburg-Essen. „In der Zeit von 1950 bis 1990 hat sich die Netzlänge vervierfacht, während sich im selben Zeitraum die Anzahl der Pkw um fast das Sechzigfache erhöhte.“ In den 1970er Jahren sei sehr viel gebaut worden, um dem deutlich wachsenden Stauaufkommen zu begegnen. „Man konnte damit das Verhältnis von etwas mehr als 3.000 Pkw auf einen Kilometer Bundesautobahn gerade noch halten.“ Heute liegt das Verhältnis bei fast 3.750 Autos pro Kilometer. Immerhin: Durch den Ausbau einiger Autobahnen haben sich die Kapazitäten zumindest lokal erhöht.
BAUSTELLE AUTOBAHN
Jedoch: Was ist untrennbar mit Fahrspurerweiterungen verbunden? Natürlich eine (Dauer-)Baustelle, laut Verkehrsforscher Schreckenberg neben dem gestiegenen Verkehrsaufkommen und mehr Lkw-Verkehr ein wichtiger Grund für die Zunahme von Länge und Anzahl der Staus in den vergangenen Jahrzehnten. „Rund jeder zehnte Kilometer ist davon in irgendeiner Form betroffen.“ Neubau steht dabei im Hintergrund; seiner Einschätzung nach betreffen rund 70 Prozent der Maßnahmen im „Bundesverkehrswegeplan 2030“ Sanierungen. „Im Prinzip laufen wir ständig den eigentlichen Bedarfen hinterher, da immer öfter unaufschiebbare Maßnahmen anfallen.“

NACHGEFRAGT
Verkehrsforscher Prof. Dr. Michael Schreckenberg beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema Straßenverkehr. Ihm ist es gelungen, das Auftreten des „Stau aus dem Nichts“ wissenschaftlich zu erklären, er prägte dafür den Begriff „Phantomstau“.
„Die teilweise enormen Beschleunigungen lassen viel weniger Spielraum für die eigene Reaktion. Das bringt am Ende natürlich mehr Stress.“
Prof. Dr. Michael Schreckenberg Verkehrsforscher
IST DIE AUTOBAHN STRESSIGER GEWORDEN?
Manch ein Autofahrer schwört, dass das Reisen früher gelassener war. Diese Vorstellung entspringt nicht ausschließlich einem idealisierten Rückblick. Professor Fastenmeier führt dieses Gefühl auf die zunehmende Verkehrsdichte zurück. „Je mehr Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind, desto weniger wird das Primärmotiv der Verkehrsteilnahme bedient, nämlich möglichst schnell und reibungslos von A nach B zu kommen“, sagt er und resümiert: „Insofern war es früher tatsächlich entspannter.“ Verkehrsforscher Schreckenberg bringt einen weiteren Aspekt ein: „Die erreichbaren Geschwindigkeiten und vor allem Beschleunigungen der Fahrzeuge sind heute viel größer als früher.“ Also auch die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Spuren. Die Folge: „Die teilweise enormen Beschleunigungen lassen viel weniger Spielraum für die eigene Reaktion. Und das bringt am Ende natürlich mehr Stress.“
Nicht zu empfehlen für die Picknick-Pause: Unterwegs mit dem Käfer hielt diese Familie offenbar einfach am Fahrbahnrand an.
Heute wird auch nicht mehr auf Klappstühlen am Straßenrand gepicknickt wie noch vor Jahrzehnten. Wer die richtige Raststätte (direkt an der Autobahn), oder den Rasthof (an der Abfahrt) erwischt oder vorher recherchiert, entspannt sich auf der Sonnenterrasse, während die Kinder auf dem Spielplatz toben, und isst regionale Spezialitäten statt Fast Food. Diverse Reiseblogs und Webseiten kartieren das kulinarische und logistische Angebot entlang der Autobahnen. Die Autobahn-App des Bundes listet die Ausstattung und Lage der Rastanlagen entlang einer gewählten Route übersichtlich (siehe Tipp). Rastanlagen wie beispielsweise die unten genannten (Kasten) bieten fast schon Ausflugspotenzial. Und da E-Mobilisten ohnehin häufiger zur (Lade-) Pause gezwungen sind, wird sich die Infrastruktur wohl zunehmend in Richtung Mini-Oase wandeln.
Vielleicht ist es dann Zeit für einen neuen Guide Michelin? Was heute Maßstab für gastronomische Exzellenz ist („Michelin-Sterne“), sollte Autofahrern Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst in Frankreich den Weg zu Werkstätten, Tankstellen, aber eben auch empfehlenswerten Hotels und Restaurants weisen.
Auch wenn die Autobahn wohl kaum zur Genussmeile avancieren wird und für viele das Mittel zum Zweck bleibt, getreu dem Motto „Das Ziel ist das Ziel“ und nicht der Weg: Der Mythos Autobahn gehört zu unserem kollektiven Gedächtnis. Sie bleibt die Straße, die ganz Deutschland verbindet. Bequem, manchmal schnell, aber fast immer asphaltiert mit Erinnerungen.

Straßen der Sehnsucht
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